Ein Opfer Für die Ewigkeit

Im Anfang war Mamur und sein Heim war die Ewigkeit. Ruhe war um ihn und kein Ton drang an sein Ohr, um ihn zu erfreuen. So erdachte er Kinder, seine Kinder, die er mit viel Liebe und Mühe gestaltete, einen jeden mit anderen Fähigkeiten. Elovar hieß er sie, und auf sein Wort hin begannen sie zu leben. Mächtige gab es unter ihnen und weniger mächtige, doch jedem hatte Mamur seinen Platz zu gedacht. In Eintracht wandelten sie um Mamur und sangen ihm Lieder, die die gesamte Ewigkeit mit Harmonie erfüllten. Unter den Mächtigen war aber einer, dem Mamur viel Macht geschenkt hatte. Er stellte ihn über alle seine Kinder und bedachte ihm den Rang eines weisen Herrschers unter ihnen zu. Doch seine Macht, begann Roumar zu vergiften. Er ersann seine eigenen Regeln und die Gesetze Mamurs achtete er wenig. Mehr und mehr verachtete er seinen Schöpfer und wandte sich von ihm ab, und er zog viele Elovar mit in sein Verderben. Vor allem die schwächeren Kinder Mamurs hörten ihm bereitwillig zu und ließen sich leicht verführen.


Die Zeit verging und Jahrhunderte verstrichen in der Ewigkeit wie Sekunden. Die Elovar waren müde und sehnten sich danach ihre Fähigkeiten ein zu setzen. Nerdain war ihr Fürsprecher und er trug bei Mamur die Bitte vor, daß er ihnen gestatten möge eine Welt zu schaffen. Zu seinen Ehren solle sie entstehen und ihre Bewohner sollten ihm allein dienen. Mamur verstand ihren Wunsch und ließ sie gewähren. Mit viel Liebe begannen die Elovar Tarmanel zu erschaffen. Aus den tiefen der Erde hoben sie gewaltige Gebirge hoch, um sie im selben Moment zu formen, mit Tälern, steilen Hängen und tiefen Schluchten. Die Ozeane wurden zurück gedrängt, Land wurde geformt und Flüsse wurden in Rinnen und Täler gelenkt. Mindala, eine der mächtigen Elovar, fand gefallen daran Leben auf den Planeten zu bringen. Zusammen mit Nuiver ersann sie alle Pflanzen und Tiere und hauchte ihnen Leben ein. Jedem einzelnen wiesen sie ihren Platz zu, den sie nie wieder verlassen sollten. Nun kam Mamur zu ihnen und besah, was sie in vielen tausend Jahren erdacht hatten. Er fand gefallen an ihrer Hände Werk und versprach ihnen ein Geschenk, wenn die Schöpfung vollendet sei. Doch Nerdain sprach zu ihm:

"Herr, wir haben nicht die Macht, solche zu erschaffen, die dir dienen. So oft wir es versuchten, mißlang es uns. Die Welt wird unvollendet bleiben." Traurig senkte er seinen Kopf. Nie hatte er Mamur enttäuschen wollen, doch selbst er, der mächtigste unter den Elovar vollbrachte dieses Wunder nicht. Mamur sah ihn schweigend an. Er kannte den einen, dem er die Macht gegeben hatte solche Geschöpfe zum Leben zu erwecken. Doch dieser hatte sich von ihm abgewandt. Noch während Mamur nachdachte trat Roumar zu ihnen und die Furcht machte sich unter ihnen breit. Seine einstmals lichte Gestalt hatte sich mehr und mehr verfinstert und seine Augen glühten vor Zorn und Haß. Als er sprach, schrien die Elovar auf und hielten sich die Ohren zu, denn seine Stimme schmerzte sie.

"Eine Welt ohne Leben ist keine Welt. Ihr wißt das und deshalb grämt ihr euch. Ihr seid unfähig ihnen Leben zu geben, aber ich habe die Macht dieses zu tun. Nehmt meine Hilfe, die ich euch biete an und ihr könnt euer bemitleidenswertes Werk vollenden. Doch bedenkt eure Antwort weise, denn wisset, ich stelle eine Bedingung für meine Dienste."

"Du hast nicht das Recht etwas für deine Hilfe zu verlangen. Deine Macht wurde dir von Mamur gegeben, wie jedem hier von uns. Es ist Mamurs Recht von dir zu fordern, daß du sie ihm zu Ehren unentgeltlich einsetzt." fiel ihm Nerdain ins Wort. Roumar lächelte.

"Wenn Mamur sie mir gegeben hat, ist das sein Fehler. Nun habe ich sie und ich nutze sie nach meinen Regeln, die mir sagen, daß ich etwas dafür nehmen sollte, wenn ich euch so viel meiner Macht zu Teil werden lasse. Mamur interessiert mich nicht." Nerdain erzitterte, denn er wurde gewahr, daß Mamur hinter Roumar stand und diese Worte vernahm. Gleichwohl kannte Mamur die Gedanken aller seiner Kinder und auch Roumars blieben ihm nicht verschlossen.

"Was ist nun? Wie lautet euer Entschluß?" höhnte Roumar weiter. Nerdain sah ihn herausfordernd an.

"Gib uns Bedenkzeit. Wir können hier nicht entscheiden, ob wir wollen, daß du uns deine Bedingungen diktierst. Deinen Einfluß in unserer Schöpfung könnte ungeahnte Folgen haben." Roumar nickte und verschwand genauso leise, wie er gekommen war. Alle Elovar fielen zusammen und blieben erschöpft liegen. Allein seine dunkle Gegenwart ließ ihre Kraft schwinden.

"Herr! Was sollen wir tun? Wir dürfen nicht zu lassen, daß er die zum Leben erweckt, die dir geweiht sein sollen. Er wird sie verführen und unsere Schöpfung wird dir nicht mehr dienen, sondern gegen dich kämpfen." rief Nerdain Mamur an, doch dieser schüttelte abwehrend den Kopf.

"Es wird nicht mehr die Schöpfung sein, die ihr erdacht habt, aber es ist immer noch meine Schöpfung, denn ich gab jedem von euch die Macht, dies hier zu vollbringen und auch Roumar gab ich seine Macht, ob er das einsieht oder nicht. Es wird mit seinem Einfluß solche geben, die mich hassen, aber mit eurer Hilfe wird es ebenso diese geben, die meine Kraft und meine Weisung suchen. An denen will ich mich erfreuen und ihnen will ich viel von meiner Kraft zum Geschenk machen." Um Nerdain Mut zu zusprechen, legte Mamur ihm seine Hand auf die Schulter und ließ ihn einen Teil von dem erkennen, was Mamur jetzt schon im Ganzen sah. Ein Teil der Zukunft lag wie ein offenes Buch vor Nerdains Augen und er erblickte eine wundervolle Welt mit gütigen Geschöpfen, die zu Ehren Mamurs majestätische Tempel errichteten und sich von seiner Macht leiten ließen. Er war ergriffen von dem, was er sah und Tränen der Ehrfurcht und Freude liefen über seine Wangen.

"Sei gewiß, Nerdain! Nichts, was Roumar mir zum Schaden unternimmt geschieht ohne mein Wissen. Und ich habe die Macht alles wieder ins Gute zu kehren. Roumar ist mein Geschöpf und er wird am Ende an mir scheitern. Vollende deine Schöpfung. Sie wird vollkommen sein in meinen Augen und niemand kann sie dann noch unvollkommen machen." Mit diesen Worten entfernte sich Mamur. Nerdain und die anderen Elovar nahmen all ihren Mut zusammen und riefen den Namen Roumars in die Leere der Ewigkeit. Bald spürten sie seine Gegenwart und sein Haß schnürte ihnen die Luft ab. Seine schwarze Anhängerschar folgte ihm auf dem Fuß und ließ sich nieder, nachdem sie den Planeten erreicht hatten.

"Ihr ließet mich rufen!? Ich sehe, daß ihr euch entschlossen habt mein Angebot an zu nehmen.!" sagte er mit kalter Stimme.

"Woher weißt du das?" entgegnete Nerdain.

"Ach, mein lieber, guter Nerdain! Du mußt noch viel lernen. Ich bin der mächtigste hier und euer Gott gab mir die Fähigkeit, die Gedanken anderer zu lesen. Du bist für mich wie ein offenes Buch." Roumar blickte ihn herausfordernd an. Er wollte Nerdain zu einem Kampf provozieren, denn das würde für ihn bedeuten aus dem Kreise der Elovar ausgeschlossen zu werden. Mamur hatte ihnen untersagt sich in seiner Gegenwart und darüber hinaus zu bekriegen. Ein Kampf würde mit dem Verlust jeglicher Kräfte enden. Nerdain wußte dies und blieb ruhig.

"Das wirst du nicht schaffen, Roumar. Nicht hier und nicht auf Tarmanel." Roumar lächelte finster.

"Wir werden sehen! Wir werden sehen!" Eine Pause entstand in der die Ruhe wie ein Gewitter war, denn die Lieder der Elovar waren verstummt.

"Nun denn! Nunmehr werde ich meinen Teil der Schöpfung erfüllen und euren Kreaturen meinen Atem schenken. Danach laßt uns euren Gott rufen und er soll sich euer Werk besehen und es segnen." Mit diesen Worten trat Roumar zu den leblosen Hüllen eines jeden Lebewesens und hauchte ihnen seinen Atem ein. Die Krontaus, die Mitomis, die Mizars und die Morome. Die Auotos, die Aukrims und die Toris. Nach einander begannen sie zu atmen. Sobald Roumar an einem Wesen vorübergegangen war, brachten es die Elovar nach Tarmanel, denn keines sollte die Ewigkeit sehen, damit sie nicht verzaubert würden und nicht mehr auf Tarmanel leben wollten, und so erwachten sie alle auf dem Gebirge Diluar. Am Ende war keines mehr übrig und Roumar war erschöpft, denn viel Kraft hatte es ihn gekostet seine bösen Pläne in die Tat um zu setzen. Doch der Lohn war für ihn Entschädigung genug. Er gedachte nun nach Tarmanel hinab zu gehen und ihnen seine Regeln, seine Gesetze zu zeigen. Es gab nun Geschöpfe, die seine Bosheit in sich trugen. Ein jedes von ihnen war behaftet mit einem Fluch, der schicksalhafter nicht sein konnte, der gelten würde, bis zum Ende aller Zeiten.

*Der Preis, den du für dein Verlassen der Ewigkeit zahlst ist hoch!* In seinen Gedanken wurde Roumar von Mamur gestört, der nun alle seine Absichten kannte. Er kämpfte gegen seinen Schöpfer, doch kann ein Geschöpf seinen Meister nicht besiegen.

"Wie kannst du es wagen in mich zu dringen!? Dies hier ist mein Werk und du darfst es mir nicht nehmen!" griff er Mamur an.

"Du bist mein Werk und ich habe das Recht zu nehmen, was mir gehört." entgegnete Mamur. Roumar zischte haßerfüllt. Die Erinnerung schmerzte, daß er ein Wesen war, geschaffen von Mamur. Und mit jedem Mal wurde er sich seiner Abhängigkeit und Unzulänglichkeit bewußt.

"Den Preis bin ich mit Freuden bereit zu zahlen, wenn ich nur deinem Antlitz entfliehen kann. Dort bin ich ein Gott!"

"Du wirst nie ein Gott sein!" Mamur sah ihn mitleidig an. Er sah all den Haß, all die Selbstüberschätzung und all das Versagen. Roumar tat ihm unendlich leid und seine Sturheit bereitete ihm Schmerzen. Denn obwohl er ein gefallenes Kind war, war er der eine, den Mamur am meisten liebte. Er war sein erstes Kind. Vollkommen in allem. Mächtig, weise und wunderschön war er einst, bevor die Machtgier seinen Verstand zerfraß.

"Doch! Ich bin ihr Gott. Sie werden mich anbeten und dich auf ewig verachten! Dafür werde ich sorgen!" rief Roumar höhnisch. Mamur schwieg und stand stille, wie das Auge in einem Wirbelsturm. Roumar sah ihn hysterisch an, sein Blick irre und seine Augen rot-glühend, wie heißes Feuer.

"Du kannst nicht gewinnen! Den Fehler, den du begangen hast, kannst nimmer mehr bereinigen. Ich werde für immer dein Feind bleiben und du wirst mich nicht vernichten können!"

"Wie immer, irrst du auch in diesem Punkt; mein Sohn!" sagte Mamur. "Ich bin dein Herr und dein Gott und ich kann dir das Leben ebenso nehmen, wie ich es dir gegeben habe. Hüte dich also davor, mich zu erzürnen. Denn mein Zorn ist schrecklich." Roumar schrie vor Wut, über Mamurs Worte.

"Nun geh! Geh hinab und versuche sie von deiner Bosheit zu überzeugen. Doch ich sage dir, daß es viele geben wird, die dir widerstehen. Und sei dir bewußt, daß du von dem Augenblick an, an dem du Tarmanel berührst, deine Macht über deines gleichen verlieren wirst. Du wirst nicht mehr länger in der Lage sein, die Gedanken deiner Brüder und Schwestern zu lesen, noch sie in einer anderen Art und Weise zu beeinflussen. Und niemals wieder wird dir das Recht zu Teil werden die Ewigkeit zu betreten, geschweige denn denen, die dir nachfolgen. Dies ist mein Urteilsspruch und nichts kann ihn jetzt noch außer Kraft setzen!" Mamur wendete sich ab zum Gehen. Roumar sah ihn haßerfüllt an.

"Du kannst mir nicht verweigern, was mir zusteht! Die Ewigkeit gehört mir, noch darfst du mir meine Kraft nehmen!" schrie er hinter Mamur her. Langsam drehte dieser sich um. Alles begann sich zu verfinstern. Mamur wurde bedrohlich, seine Stimme ein ohrenbetäubender Donner, als er Roumar für immer verdammte.

"Dir steht der Tod zu und den kann ich dir wahrhaftig nicht verweigern. Die Ewigkeit ist mein Heim und ich wohnte hier, noch bevor ich dich erdachte. Deine Kraft hast du durch mich und ebenso leicht kann ich sie dir nehmen, wie ich sie dir gab. Dies eine prophezeie ich dir. Du wirst durch meine Hand sterben, wenn ich die Zeit für gekommen halte. Damit darfst du dir in deinem Dasein auf der Welt gewiß sein, daß du auf ewig in meiner Hand bist. Du kannst nicht sterben, solange ich es nicht sage, wohl aber kannst du verletzt werden. Und an diesen Wunden sollst du leiden, denn jede Wunde legt ein Stück Gutes in dein Herz und deine Bosheit und das Gute werden sich in dir bekriegen. Jeder Tag wird dich schmerzen, jeder Atemzug wird für dich eine Qual sein. Dies ist der Preis, den du für deinen Verrat an mir zahlen wirst." Roumar hob die Hand zum Einwand, doch Mamur nahm ihm die Sprache.

"Dieses Urteil steht fest, wie ein Fels in der Brandung und niemand kann mich dazu bringen, es aufzuheben und sollten all deine Brüder und Schwestern mich darum bitten, so werde ich es ihnen nicht gewähren. Denn niemals soll mich jemand ungestraft verraten und meine Gesetze brechen. Nicht einmal du, der du mir der liebste unter meinen Kindern bist." Mamur verschwand und Roumar blieb bebend vor Zorn alleine zurück.

"So sei es!" rief er trotzig. "Ich werde dich und deine Brut bekämpfen, bis sie alle vernichtet sind. Niemand soll dich auf diesem Planeten achten. Ich werde dich bekriegen und dir Schmerzen bereiten. Und glaube mir, soviel Macht werde ich noch haben, daß ich dir eine Wunde zufügen kann. Eine Wunde, die dir Schmerzen bereiten wird und du wirst sie nicht verhindern können. Dies ist mein Urteil und niemand wird mich aufhalten können." Mit diesen Worten entschwand Roumar mit den seinen nach Tarmanel. Die Elovar waren nun allein um den Planeten versammelt und waren halb ohnmächtig von dem Kampf zwischen Mamur und seinem verlorenen Kind. Nerdain fand als erster die Sprache wieder.

"Was soll jetzt geschehen? Wir können nicht zulassen, daß er dort unten nach seinen Regeln herrscht und sie nicht von Mamur erfahren. Aber wenn wir hinab gehen, werden wir nicht mehr zurückkehren können. Es ist hoffnungslos!" resigniert verließ er den Planeten und ging mit hängenden Schultern zurück zum Throne Mamurs. Die anderen folgten ihm schweigend. Kein Lied erklang und die Stille war erdrückend. Mamur saß gedankenverloren auf den Stufen seines Throns und nahm nicht wahr, wie seine Kinder sich Hilfe suchend und ängstlich um ihn scharrten. Alles sah hoffnungsvoll auf ihn.

"Herr! Wie können wir deine Schöpfung vor dem Untergang bewahren, wenn wir hier oben sind und er dort alles unternehmen kann, um sie dir zu nehmen, deine Lebewesen?" begann Nerdain. Mamur schwieg weiterhin. Traurig starrte er in die Leere. Plötzlich löste sich eine Träne aus seinen Augen, lief seine Wange hinunter und viel auf den Boden. Die Elovar entsetzten sich. Mamur war ein Gott! Wie konnte er weinen? Noch nie hatten sie ihn so gesehen. Er war immer weise, stark, klug und mächtig. Es gab keinen Grund für ihn zu weinen.

"Herr, haben wir euch verärgert? Was haben wir falsch gemacht, daß ihr es euch so zu Herzen nehmt?" fragten sie und umringten ihn dichter. Langsam sah Mamur zu ihnen auf und genauso langsam fing er an zu sprechen. Er wirkte müde und kraftlos.

"Seht! Ihr habt eure Kinder geschaffen. Jeden habt ihr erdacht und unterschiedlich habt ihr sie gestaltet. Mit Mühe habt ihr sie geformt und euch Zeit dabei gelassen, daß sie vollkommen würden. Ihr habt sie lieb und ihr ängstigt euch, daß sie verloren gehen könnten und Roumar ihre Herzen vergiftet." Er holte tief Luft. Eine Pause entstand und die Elovar wußten nicht, was sie denken sollten. Ihr Gott war mit einem Mal so verletzlich. Konnte das ein Gott denn sein?

"Ihr seit nun meine Kinder," fuhr er langsam fort. "und ich habe euch alle einzeln erdacht. Jeder von euch ist einzigartig, keiner ist dem anderen gleich, weder im Aussehen noch in seinen Fähigkeiten. Jeden habe ich lieb und jeder der mir verloren geht reißt eine tiefe Wunde in mein Herz. Wofür ihr tausende Jahre brauchtet, dafür habe ich eine Ewigkeit gebraucht, denn solange hat es gedauert euch zu erschaffen und euch zum Leben zu erwecken. Viel Kraft hat es mich gekostet, doch habe ich mich mit jedem von euch, der anfing zu leben mehr gefreut. Roumar nun ist mein erstes Kind. Er ist der mächtigste und weiseste unter euch gewesen. Ich habe ihm viel von meiner Kraft gegeben, denn er sollte ein Herrscher unter euch sein und euch Weisung und Rat geben. Ich liebte ihn mehr als alle anderen von euch, denn er war mir fast ebenbürtig. Und nun ist er gefallen. Seine Macht ist geschwunden und seine Weisheit verkommen. Seine Schönheit hat sich ins Gegenteil verkehrt und ich kann ihn nicht mehr wieder erkennen. Wo ist er nun mein Sohn, mein einzig Kind, daß ich so sehr liebte?" fragte Mamur und schaute in die Augen seiner Kinder. Ratlos sahen sie ihn an. Was sollten sie ihm sagen? Er wußte doch, wo sich Roumar befand. Stille machte sich breit und weitere Tränen liefen über Mamurs Gesicht.

"Er ist verloren, nicht wahr? Ich selber habe ihn verdammt. Ich verfluchte ihn und habe ihm jede Möglichkeit genommen zu mir zurückzukehren. Denn die Bosheit hat ihn zerfressen und der Haß hat ihn verbrannt. Niemals wieder wird sich sein Herz nach meiner Nähe sehnen und sein Auge wird zu keiner Zeit das Verlangen haben mein Antlitz zu erblicken. Ihr entsetzt euch, daß ich weine. Ein Gott kann nicht weinen, denkt ihr. Aber zu was anderem kann ein Vater noch fähig sein, wenn eines seiner Kinder ihm den Rücken zudreht? Wenn es ihn verläßt, seinen Rat mißachtet und ihn bekämpft mit Haß und Eifer. Was kann ich da noch anderes machen, als seinen Verlust zu betrauern?" Nerdain verstand seinen Schmerz, obwohl er nur wenig ermessen konnte, um wie vieles größer er war, als sein eigener. Er stimmte ein Lied an, das Lied der Verzweiflung, und seine Weise war traurig und voll tiefer Sorge. Nacheinander stimmten die übrigen Elovar mit ein und die Ewigkeit war wieder erfüllt mit Harmonie, doch war es keine, die einem den Mut wieder gegeben hätte. Mamur saß da und hörte ihnen zu und ließ ihre Worte und ihre Stimmen in sein Herz dringen. So traurig das Lied auch war, so bestärkte es ihn in seinem Entschluss. Roumar konnte und durfte nicht alleine auf Tarmanel verweilen. Doch um die Schöpfung zu retten musste er ein eigenes Opfer bringen, eines, dass ihm Sorgen und Kummer bereitete. Doch mit festem Willen stand er auf und Entschlossenheit lag in seinen Augen. Die Elovar verstummten. Erwartungsvolle Blicke richteten sich auf ihren Gott.

"Ich habe nun eine Entscheidung getroffen. Sie fällt mir schwer, denn sie bedeutet für mich einen unhaltbaren Verlust. Doch kann ich Roumar nicht alleine dort unten regieren lassen. Es ist daher mein Wille, dass ihr euch auf Tarmanel nieder lasst und eure Kinder zum Guten anhaltet. Bringt sie mir näher, denn aus eigener Kraft heraus werden sie mich nicht mehr finden können. Ihr seit ihre einzige Hoffnung, damit sie die Ewigkeit erreichen. Dieses sage ich euch aber. Ich schicke euch mit großer Trauer nach unten, denn diese Stadt wird unvollkommen sein ohne euren Gesang." Nerdain zitterte, bedeuteten doch Mamurs Worte, dass sie die Ewigkeit nie wieder betreten durften, würden sie einmal ihren Fuß auf den Planeten setzen.

"Herr, wie kannst du von uns verlangen, dass wir verlassen den Ort, an dem wir bestimmt sind zu leben? Es hieße das Paradies auf ewig zu verlassen, denn warst nicht du es, der uns prophezeite, wenn wir jemals einen Fuß auf Tarmanel setzten, so müssten wir für immer diese Gestade verlassen?" Mamur lächelte ihn an. Nerdain hatte noch viel zu lernen, doch war er sich sicher, dass er auf Tarmanel ein weiser Herrscher werden würde. Er konnte die Völker vereinen und sie ihm näher bringen. Und dazu bedurfte Nerdain ein Geschenk.

"Mein lieber Sohn!" fing Mamur an und nahm Nerdain in den Arm. "Du ängstigst dich unnötig. Mein Urteil galt Roumar und seinem Gefolge, nicht aber dir und den deinen. Die Elovar, die Roumar nachfolgten, werden verloren sein und Roumar sei verdammt. Doch ihr geht mit meinem Wohlwollen und auf mein Geheiß. Wenn ich die Zeit für gekommen halte, so werde ich euch wieder zu mir nehmen und ihr werdet wieder vereint sein mit mir und von neuem könnt ihr mich erfreuen mit euren Liedern. Doch bis dahin müsst ihr gegen ihn kämpfen und versuchen die Schöpfung zu erhalten. Ich werde euch nun mit Kräften ausstatten, die euch im Kampf überlegen machen. Es steht euch frei diese Macht, an die, die euch lieben weiterzugeben. Denn dies sei mein Geschenk, dass ich den Völkern Tarmanels gewähre. So sie meinen Willen und meinen Rat suchen und mir nachfolgen mit Herz und Verstand, so will ich ihnen einen Teil meiner Kraft geben, auf das sie Wunder vollbringen können und sich gegen Roumar zu wehren vermögen. Denn so groß sei meine Macht in ihnen, dass sie ihn sogar besiegen könnten." Mamur trat einen Schritt zurück und nahm Nerdains Kopf in seine Hände. Seine Gestalt begann zu leuchten von innen heraus. Ein gleißendes Licht erfüllte den Himmel, das jeden Schatten zurück drängte. Die Elovar schauten zu Boden, denn seine enthüllte Lichtgestalt blendete sie. Das Licht floss von Mamur auf Nerdain über und auch er begann zu leuchten, bis er schließlich ganz und gar mit der Kraft Mamurs erfüllt war. Mamur trat nun an jeden Elovar heran und gab ihm einen Teil seiner Kraft. Am Ende war der Himmel ein gleißendes Lichtermeer und keine Bosheit der Welt hätte es vermocht das Licht zu zerstören. Mamur verhüllte sich wieder und auch die Elovar hörten auf zu strahlen. Nerdain schaute ehrfürchtig zu seinem Herrn auf. Eine solche Begebenheit hatte er in seinem ganzen Dasein nicht erlebt. Nie zuvor war er so erfüllt gewesen, doch er spürte langsam und stetig etwas in sich wachsen. Er ergründete in sich eine Quelle der Kraft, die er noch niemals vorher verspürt hatte und er wurde gewahr, dass Mamur große Aufgaben für ihn hatte. Beschämt über soviel Gnade verbeugte sich Nerdain tief vor Mamurs Thron und mit ihm neigten auch die anderen ihre Häupter.

"Nun geht! So ausgerüstet entlasse ich euch in eure Welt, damit nicht verloren gehe, was ihr erschaffen habt. Meinen Segen gebe ich euch und meine Kraft, dass ihr den Einflüsterungen Roumars widerstehen könnt. Es sei euch erlaubt euch dort unten zu wehren, was beinhalten wird, dass ihr eure eigenen Brüder töten werdet. Seit gewiss, dass ich euch dafür nicht verdammen werde. Doch bedenkt die Gefahr, in die ihr euch begebt, denn auf dem Planeten ist alles sterblich, so auch ihr. So wie ihr eure dunklen Brüder zu töten befähigt seit, so können diese auch euch töten. Ich möchte keinen von euch verlieren, denn wenn ihr dort unten sterbt, werdet ihr hier nicht in euren Körpern erscheinen. Ihr werdet das Schicksal der sterblichen Völker Tarmanels teilen und in andere Gefilde des Himmels gehen. Dort wo ich nicht mehr ewig bei euch sein kann und wo ich euren Gesang nur noch selten vernehmen kann. Doch möchte ich nicht einen einzigen von euch missen. Denn jeder Verlust meiner Kinder schmerzt mich. Seit auf der Hut! Roumar ist ein boshafter Gegner und er wird alles versuchen, um euch zu vernichten." Mamur setzte sich würdevoll auf seinen Thron und besah sich seine Kinder. Der Abschied fiel ihm nicht leicht. Er sah eine ungewisse Zukunft und er fürchtete einige von ihnen nicht wieder zu sehen. Wenigstens nicht in diesen Hüllen und auch nicht vor seinem Thron. Er erwartete, dass sie nun alle abziehen würden. Doch Nerdain zögerte und trat dann vor seinen Thron.

"Herr, wir sind uns einig geworden, dass wir nicht alle nach Tarmanel ziehen wollen. Die schwächeren unter uns möchten bei dir bleiben. Ebenso einige, die stark sind. Wir befinden es nicht für notwendig, wenn wir alle dort unten sind. Es ist gut, wenn ein paar hier bleiben durch die wir Kontakt zu dir halten können. Gewähre ihnen diesen Wunsch, dass sie bei dir bleiben mögen und wenigstens ein kleiner Teil dich mit Liedern erfreuen kann." Nerdain verbeugte sich tief. Mamur sah seine Kinder an und die Freude erfasste sein Herz. Er fing an zu lachen. Die Fröhlichkeit darin steckte den ganzen Himmel an. Jeder Winkel der Ewigkeit schien vor Freude laut zu lachen. Zunächst verwunderten sich die Elovar, doch bald stimmten auch sie in das Gelächter ein. Es war erfrischend, wie eine Morgenbrise, wie ein kühler Wind in der Wüste. Noch immer lachend entgegnete Mamur:

"Ich fühle mich erleichtert, da ich nun nicht alleine bleiben werde. Ich bin euch zu Dank verpflichtet, denn ich hatte nicht erwartet, dass ihr euch zu solch einer Entscheidung durchringt. Ihr seit Brüder und Schwestern und ich habe euch so geschaffen, dass ihr einander bedürft. Ein jeder kann ohne den anderen nicht wirken und fühlt sich schwach, wenn ein Glied fehlt. Das ihr dieses Opfer bringen wollt, war mir nie bewusst. Doch ich danke euch." Mamur neigte leicht seinen Kopf zum Dank. Nerdain erhob sich wieder und trat zurück. Beide sahen sich schweigend an. Eine dunkle Vorahnung lag auf Mamurs Herzen. Ihm war, als ob er Nerdain verlieren würde. In seinen Gedanken sprach er zu seinem zweiten Sohn.

*Dein Vorhaben wankt. Ich habe düstere Gedanken in meinem Herzen. Mir wird schwer zu Mute, denn ich kann nicht ermessen, ob wir uns wiedersehen werden. Er wird versuchen dich zu töten. Sei dir dessen immer bewusst. Unterschätze nicht die Macht Roumars, denn auch wenn ich ihm viel von seinen Gaben nahm, hat er immer noch genug, um euch zu schaden. Höre stets auf dein Herz, denn durch dieses werde ich zu dir sprechen.* Nerdain nickte stumm. Für einen Sekundenbruchteil konnte er in Mamurs Herz blicken und die dunklen Wolken wahrnehmen, die es umgaben. Doch keine noch so dunkle Vorahnung konnten ihn von seinem Vorhaben abbringen. Sein Wille war stark und sein Entschluss gefestigt. Er machte eine flüchtige Verbeugung, drehte sich erhobenen Hauptes um und schritt fort. Seine Brüder und Schwestern, die ihn begleiten wollten folgten ihm. Kein Abschied, keine Worte des Wiedersehens. Jedes der himmlischen Wesen wusste tief in seinem Herzen, was dieser Abschied zu bedeuten hatte und welche Risiken er in sich barg. Nur allein durch Augenblicke sagten sich die Kinder Mamurs alles, was es zu sagen gab. Mamur saß stumm auf seinem Thron und eine weitere Träne ran über seine Wangen, denn so sehr er versuchte sein Herz zu beruhigen, geriet es immer stärker in Wallung. Der Schmerz des Verlustes wollte nicht von ihm weichen.

*Lebewohl mein Sohn! Mein zweiter, den ich vollkommen schuf und der nun den Platz in meinem Herzen einnimmt, den ich einst deinem Feind zugedacht hatte. Mein Geist wird stets mit dir sein und meine Kraft wird um dich sein, um dich zu beschützen, was immer auch kommen mag. Ich bitte dich aus vollem Herzen darum, dass du acht geben wirst auf dich. Handele niemals unbedacht und schenke seinen Worten nicht einen Wimpernschlag lang Gehör. Seine Gedanken sind falsch und seine Angebote durchtrieben. Nichts, was er dir jemals versprechen könnte, kann er auch halten. Ich habe ihm jegliche Macht genommen mit der er dir etwas versprechen könnte. Er hat nichts, was du gebrauchen wirst. Du besitzt alles, was du benötigst, denn du hast es von mir bekommen. Kenne keine Gnade, denn er würde sie dir zu keiner Zeit seines Lebens erweisen. Ich möchte dich wiedersehen. Bitte gib auf dich acht!* Diese letzten Gedanken sandte Mamur hinter seinem Sohn her.