Kapitel 5: Ein schönes Abenteuer

Seit drei Tagen waren die fünf Freunde schon unterwegs. Es hatte keine Zwischenfälle mit Schnappwesen gegeben und allmählich fragten sie sich, ob es nicht vielleicht doch Angstmach-Geschichten der Eltern waren, damit sie das Dorf nicht verließen. Es schien vielleicht gar keine solche Wesen zu geben. Das Wetter war trocken, es war sogar warm und es gab keinen Nebel. Dadurch war es ungewöhnlich hell und das heiterte das Gemüt der kleinen Bande auf. Frak schätzte, dass sie nur noch einen Tag brauchten, dann würden sie die Sockitotten-Siedlung bei den Lofmega-Wäldern erreicht haben. Vini war schon ganz aufgeregt. Sie hatte viel von Lofmega-Bäumen gehört und sie konnte sich nur schwer solch glänzende Bäume vorstellen, die entweder drei Äste hatten oder nur einen runden, flachen Ast oder nur einen scharfkantigen Ast. Milo ging mit Saria weiter vorne, sie unterhielten sich über die Karte. Frak, Ridogon und Vini gingen ein Stückchen weiter hinten und kicherten unentwegt. Nach einiger Zeit drehte sich Milo mit einem leicht empörten Gesichtsausdruck um.

"Was?" fragte er.

Die drei Sockitotten sahen ihn unschuldig dreinblickend an.

"Was meinst du?" fragte Vini und zuckte mit den Schultern.

&uqot;Was kichert ihr da so? Das hier ist eine ernste Sache!"

"Oh! Entschuldigung!" meinte Ridogon nicht mit einem gewissen sarkastischen Unterton in der Stimme. "Wir wollten nicht deine ernsthaften Kreise stören."

Frak stieß ihn mit dem Ellenbogen in die Seite.

"Au!" meinte Ridogon und schaute Frak beleidigt an.

Eine Zeit lang standen sich die fünf gegenüber und schauten sich verwirrt an. Plötzlich brach es aus Milo heraus und er prustete und ergoß sich dann in einen Lachanfall. Die anderen zunächst noch verwirrter fingen auch an zu lachen. Jeder lachte, weil der andere lachte. Nach einiger Zeit, als sie sich kugelnd auf dem Boden wälzten, hörten sie auf zu prusten und zu kichern und setzten sich wieder hin. Der Lachanfall war befreiend. Alle bei Milo angestauten Ängste und Sorgen waren weggespült.

"Danke!" sagte er und erhob sich ein wenig schniefend.

"Wofür?" fragte Ridogon und kam ebenfalls auf seine Füßchen.

"Ich fühle mich jetzt besser. Ich war so...," Milo suchte nach dem richtigen Wort, "...beladen."

"Es ist nicht leicht für uns alle." meinte Saria und trippelte schon wieder los.

Die anderen folgten ihr beschwingt und Frak fing an ein Lied zu summen.

"Ich kleiner Sockitotte
hätt’ gerne eine Flotte.
Die Schiffe an dem Faden,
geh’n in dem Flusse baden.

Ich laufe immer munter
am Ufer rauf und runter.
Die Schiffe lieben das.
Es macht uns so viel Spaß.

Doch leider kommt ganz schnelle
‘ne richtig große Welle.
Kiel hoch und Segel runter,
so geh’n die Schiffe unter."

Alle fünf fingen schon wieder an zu lachen und weil sie alle dieses Lied, das eigentlich jedes Sockitotten-Kind kennt, so gerne mochten, sangen sie es gleich noch mal aus voller Kehle, daß es über die ganze Fuschebene schallte. Die Mittagszeit brach an, als Milo und seine Freunde immer noch stramm marschierten. Doch der Hunger wühlte bald in ihren Mägen und sie setzten sich in einer kleinen Mulde hin, um den übrigen Fuschbrei vom Frühstück zu essen. Dann ruhten sie sich ein wenig aus. Es tat so gut die müden zehn Füßchen einmal auszustrecken und sie zu massieren. Milo war eingenickt und schrak hoch, als Frak ihn an der Schulter rüttelte.

"Oh! Was machst du?" fuhr Milo Frak an, der entschuldigend zurück wich. "Du hast mich fast zu Tode erschreckt!"

Frak schaute ihn fragend an. Brummelig stopfte Milo seine Jacke, die er als Kopfkissen benutzt hatte in seinen Rucksack zurück. Als er sich diesen über die Schulter warf, schaute er Frak immer noch vorwurfsvoll an.

"Es tut mir ja leid. Aber ich mußte dich wecken. Wir verlieren sonst zu viel Zeit."

Frak sah die anderen an, die bestätigend nickten.

"Ja, ja. Schon gut." kam Milos etwas patzige Antwort.

Irgendetwas vor sich hin nuschelnd stapfte er los. Achselzuckend folgten seine Freunde ihm. Vini schloß nach kurzer Zeit zu Milo auf.

"Also... was war das denn vorhin schon wieder?" fragte sie mitfühlend.

Milo schniefte nur und schaute angestrengt nach vorne. Er hatte eigentlich vor es nicht zu erzählen. Vini schaute ihn von der Seite mit großen, geduldigen Augen an. Eine ganze Zeit lang gingen sie so nebeneinander her, bis Milo genug von Vinis Blicken hatte. Er seufzte leicht gereizt.

"Ich habe nicht gut geträumt." meinte er kurz angebunden.

"Oh!" kam Vinis kurze, überraschte Antwort.

Wieder marschierten sie eine kleine Weile schweigend. Vini schaute Milo wieder von der Seite an. Sie wußte, wie andere ohne Worte aufgebaut werden konnten und man ihnen Sorgen und Trübsinn nehmen konnte. Sie schaute denjenigen einfach an und bald fing er von selbst an zu erzählen. Auch bei Milo half ihre Taktik weiter.

"Ich habe von den Schnappwesen geträumt. Sie haben uns verfolgt und in die Enge getrieben und gerade als mich eines mit einem Schlangenarm packte und rüttelte, da weckte mich Frak. Dabei habe ich mich unglaublich erschreckt. Der Traum hat mir so Angst gemacht, weil ich dachte, was, wenn es kein Traum war? Temeo sah auch immer nachts Schnappwesen und wir dachten es wären Träume, doch sie waren ja echt da."

Milo schüttelte sich. Vini nahm bestärkend Milos Hand, um ihm Mut zu geben. Sie konnte so was gut.

"Wir sind jetzt schon so lange unterwegs und nichts ist passiert. Ich hatte manchmal schon gedacht, daß es Schnappwesen doch nicht gibt. Dieser Traum hat mich so erschreckend daran erinnert, daß wir uns wirklich in Gefahr befinden."

Vini blieb stehen. Sie schaute in der Landschaft herum. Milo folgte ihren Blicken mit seinen. Sofort wurde ihm klar, was sie ihm zeigen wollte. Es war warm, es war hell, die Ebene sah freundlich aus mit den kleinen Senken und sanften Erhebungen. Es gab eigentlich keinen guten Grund solch eine Angst zu haben. Kurz blieb Milo stehen, ließ das beruhigende Bild auf sich wirken und atmete tief durch. Ein wenig verschwand der Knoten der Angst aus seiner Brust. Die anderen vier waren an ihm vorbei und schon ein kleines Stück vor ihm, so trippelte er schnell hinter ihnen her. Jetzt gingen sie alle fünf neben einander. Nach einer kurzen Zeit ergriff Vini Milos Hand. Kurz machte sein Herz einen kleinen Hüpfer. Er mochte Vini schon länger. Saria mochte er auch, aber bei Vini waren seine Gefühle irgendwie anders. Es war echt verwirrend. Einmal, so erinnerte er sich, hatte er seine Eltern dabei beobachtet, wie sie kuschelten und sich neckten und dann auch noch ihre Münder auf einander machten. Er fand das merkwürdig und auch ein bißchen peinlich. Weil es ihn nicht los ließ, fragte er sie, warum sie das getan hatten und sein Vater nahm ihn auf dem Schoß. Das tat er immer, wenn er so ein Gespräch von Mann zu Mann mit Milo führte. Milo fand das immer toll. Dann hatte Ged ihm etwas von tiefer Liebe und Zuneigung und so erzählt. Milo hatte es nicht damals nicht verstanden, aber dann mit der Zeit fühlte er sich immer so merkwürdig in Vinis Nähe und er mußte an dieses Gespräch denken und schlußfolgerte daraus, daß er Zuneigung und Liebe für Vini empfand. Das war nun schon seit vielen Tagen so und Milo grübelte oft darüber nach, wie er damit umgehen sollte. Auch jetzt, als Vini an seiner Hand ging wußte er nicht, was er tun sollte. Er spürte sein warmes Gesicht, also hatte er bestimmt rote Wangen, wie immer, wenn ihm etwas unangenehm war. Er versuchte so zu tun, als ob er Vinis Hand nicht spürte, aber das klappte kaum. Mit den Augen schielte er zur Seite so weit er konnte, ohne den Kopf zu drehen, um zu sehen, wie Vini aussah, ob er bei ihr auch Anzeichen für Zuneigung und Liebe erkennen konnte. Aber er konnte nichts sehen. Leise seufzend schaute er wieder nach vorne.

*Eigentlich bin ich doch zu klein für so was. Die großen, die lieben sich. Aber ich bin doch noch ein Kind. Ich könnte mir kaum vorstellen meinen Mund...*

Bei diesem Gedanken wurde sein Blick von Entsetzen erfüllt. Nein! Nie im Leben könnte er sich vorstellen ein Mädchen zu küssen!

*Uhuhuäää!* schüttelte sich Milo.

Am liebsten hätte er seine Hand wieder weg gezogen, doch mittlerweile hatten sich alle anderen auch angefaßt und so ließ er seine Hand in Vinis Hand. Alle fünf Freunde marschierten Hand in Hand über die weite Ebene und dicke freundschaftliche Gefühle beflügelte ihre Schritte. Sie spürten, daß sie immer zusammenhalten würden, nichts würde sie trennen können. Sie hatten sich viel zu sehr lieb. Das große Gefühl verlieh Milo fast Flügel. Er fühlte sich so leicht und beschwingt, als ob er gleich abheben würde. Und dann ganz weit hinten am Horizont konnte er etwas glitzern sehen. Es war richtig gleißend. Milo blieb stehen und streckte seine Hand aus.

"Da!" rief er und hüpfte aufgeregt von fünf Füßchen auf die anderen fünf Füßchen.

Alle schauten in die Richtung und auch sie machten einen Freudenhüpfer.

"Die Lofmega-Wälder! Morgen haben wir sie erreicht!" triumphierte Saria. "Ich bin so aufgeregt. Oh, sie glitzern so wunderbar. So hell habe ich es mir gar nicht vorgestellt."

Alle fünf stürmten vorwärts von neuem Tatendrang erfüllt. Was würden sie dort wohl alles zu hören bekommen, was konnten sie dort wohl erleben? Es war ein wirklich schönes Abenteuer.