Kapitel 3: Freundschaftsbande

Milo saß grübelnd auf seinem Bett. Als der düstere Tag sich seinem Ende neigte und es noch dunkler wurde hatte Milo sich seinen Plan zurecht gelegt. Er rutschte von seinem Bett und nahm sich eine warme Jacke aus seinem Schrank. Dann tippelte er leise in den Flur und lauschte. Seine Eltern waren gerade im Wohnzimmer, Hera war in ihrem Zimmer und Temeo hatte sich wahrscheinlich wieder im Wandschrank versteckt. Er sagte, dort würde er von den Schnappwesen nichts sehen. Ein richtiges Lager hatte er sich dort eingerichtet. Milo seufzte. Nie hätte er sich träumen lassen, daß es nicht Temeos Phantasie war, die diese Wesen erdachte. Er schlich sich in die Küche und suchte sich eine Lampe. Sie würde ihm vielleicht ein wenig Sicherheit vor den Wesen bieten. Neben einem Stück Kladreiz, nahm er sich noch ein wenig Fusch und andere Nahrung mit. Alles steckte er in einen Rucksack. Das Kladreizstück mochte ihm vielleicht zur Verteidigung dienen. Vor allem um sich gegen die Schnappwesen wehren zu können, aber auch gegen die anderen Völker. Pormaes und Vuschvuzel nahmen Sockitotten gefangen und brachten sie fort. Sie waren gefährlich und böse. Jeden Tag kamen solche Nachrichten von anderen Sockitotten und Milo wollte sich so gut schützen, wie er konnte. Und so ausgestattet schlich sich Milo zur Tür. Seine Hand näherte sich der Klinke. Seine Finger schlossen sich darum.

"Willst du weg Milo?"

Milo zuckte zusammen. Ertappt drehte er sich um und sah in Temeos Augen. Erleichtert ließ er seine angehaltene Luft entweichen. Wären es Mutter oder Vater gewesen, so hätte er heute nicht aufbrechen können und er wußte nicht, ob er später noch den Mut zu dieser Reise aufgebracht hätte.

"Schsch! Temeo, nicht so laut."

Beschwörend sah er Temeo an und schielte den Flur entlang, ob die Eltern nicht doch etwas gehört hatten und nachschauen kamen. Es regte sich nichts.

"Ich habe einen Plan entwickelt um dir zu helfen deine Angst los zu werden und dazu muß ich jetzt mal ein wenig spazieren gehen."

Milo hätte Temeo beim besten Willen nicht sagen können, daß er das Dorf verlassen wollte. Doch Temeo war zwar ängstlich und klein, aber er war schlau. Er hielt Milo an der Jacke fest.

"Du willst aber nicht weit weg!?"

Milo schaute zu Boden. Er konnte seinem Bruder den Plan nicht erklären. Und außerdem hatte Temeo es ja sowieso schon erraten. Der kleine Sockitotte hatte Tränen in den Augen.

"Nimm mich mit!" bettelte er.

Milo wiegelte entschieden ab.

"Auf keinen Fall!" meinte er energisch.

Temeo sah ihn mit flehenden Augen an. Milo wendete seinen Blick ab. Mußte sein kleiner Bruder immer so schauen, wenn er etwas durchsetzen wollte!? Sonst hatte Milo bei diesem Blick immer nach gegeben, aber diesmal mußte er standhaft bleiben. Für Temeo war diese Reise nichts.

"Nein!"

Milo befreite seinen Ärmel. Temeo stellte sich vor die Tür. Milo seufzte genervt.

"Aber..." wollte der kleine Bruder erneut ansetzen, doch Milo schnitt ihm das Wort ab.

"Nein, kein Aber diesmal Temeo. Das ist jetzt wirklich nichts, wo du mitkommen solltest. Ich weiß nicht, was mich erwartet und es reicht schon, wenn ich auf mich aufpassen muß. Ich kann nicht auch noch für dich sorgen... oh... aber Temeo..."

Milo rollte mit den Augen. Dicke Tränen rannen aus Temeos Augen und schniefend zog er die Nase hoch.

"Hera ist doch noch da. Sie hat dich lieb und sie sorgt für dich. Und darüber hinaus... Mama und Papa lieben dich auch."

Temeo schaute plötzlich, als ob Milo ihn auf den Arm nehmen wollte. Der kleine Sockitotte hatte schon lange nicht mehr das Gefühl von seinen Eltern geliebt zu werden. Es kam ihm eher so vor, als ob er nur geduldet würde. Milo nahm Temeo in seine Arme.

"Weißt du Olm hat gesagt, daß Mama hilflos ist wegen deiner Phantasien. Sie weiß einfach nichts mehr, was sie tun kann und... naja, weißt du, wenn man denkt, daß deine Träume nicht echt sind, dann findet man keine echte Hilfe für dich." Ein wenig Entschuldigung schwang in Milos Stimme mit, denn er hatte Temeo ja auch nicht geglaubt.

Die beiden Brüder sahen sich schweigend in die Augen. Keiner wußte, was dieser Abschied bedeuten konnte. Milo legte bestärkend seine Hand auf Temeos Schulter und schob ihn von der Tür weg. Wieder berührten seine Finger ein wenig zitternd den Türknauf und diesmal öffnete er die Tür. Er trat an Temeo, dem viele Tränen die Wange hinab liefen, vorbei hinaus in die kühle Nacht. Er schulterte seinen Rucksack, knüpfte seine warme Jacke fester zu und ging dann los. Temeo sah ihm mit einem mulmigen Gefühl hinter her.

Milo kam am Eingang des Dorfes an. Er trat durch das Tor und atmete tief ein und aus, um sein klopfendes Herz zu beruhigen. Ob diese Wesen wohl schon so dicht am Dorf sein würden? Er griff den Knüppel fester. Entschlossen marschierte er weiter.

"So, so, so! Und ohne uns etwas zu sagen... macht sich einfach aus dem Staub!" Milo fuhr zusammen.

Nach dem ersten Schreck, daß es ein Feind sein könnte, drehte er sich um. Die Stimme kannte er. Es war Ridogon. Spitzbübisch grinsend lehnte er an der Mauer, die das Dorf begrenzte. Und noch weitere seiner Freunde konnte er sehen. Frak, Saria und Vini hockten auf der Erde und lächelten ihn an.

"Was macht ihr hier?" fragte Milo zugleich ungläubig und wütend.

Das machte es für ihn nicht leichter. Es kostete ihn auch so schon große Überwindung und er mußte seinen ganzen Mut sammeln um das Dorf zu verlassen. Seinen besten Freunden Lebewohl zu sagen war für ihn fast nicht möglich.

"Wir..." und Vini betonte das Wort ganz besonders. " ...sind hier, um dir ein wenig Gesellschaft zu leisten."

"Man weiß nie!? Hier draußen kann einem alleine alles mögliche passieren. Aber wir gehen ja zusammen." meinte Ridogon lachend.

Milo schüttelte energisch den Kopf.

"Nein! Ihr kommt nicht mit. Wer weiß was passiert. Ihr habt die ganze Gefahr, die hier lauert doch gar nicht richtig bedacht. Das hier ist kein cooles Abenteuer!"

"Ach komm schon!" meinte Frak ein wenig genervt.

Immer mußte Milo den Oberlehrer, den Vernünftigen spielen. Traute er ihnen denn gar keinen Verstand zu!?

"Glaubst du, daß wir einfach losrennen, wenn Olm uns um etwas bittet und nicht nachdenken. Wir springen doch nicht von einem Lofmegabaum und brechen uns was, nur weil Olm es sagt."

*Aha!* dachte Milo. Daher wehte also der Wind. Olm hatte ihn durchschaut und mit seinen Freunden geredet. So ein listiger alter Kerl. Aber irgendwie war Milo jetzt froh, daß Olm es getan es hatte. Das seine Freunde ihn begleiten wollten machte ihm das Herz leichter. Und auf eine Art und Weise war es ein gutes Gefühl. Er und Vini und Saria und Ridogon und Frak. Die verwegenste Sockitottenbande weit und breit gingen auf Abenteuersuche nach der verschwundenen Sonne! Sie würden Gefahren durchleben, Sümpfe durchqueren, tosende Stürme erdulden und den gefürchteten Schnappwesen standhalten!

"Also dann! Laßt uns los ziehen!" rief Milo freudig erregt und die anderen schnappten auch ihre Rucksäcke und Jacken und dann machten sich die fünf Freunde auf den Weg ins ungewisse Abenteuer.