Kapitel 1: Was sind Sockitotten?

"Wo ist eigentlich meine Brille?" Diesen Satz und ähnliche hörst du bestimmt häufiger. Wenn dein Papa seine Brille sucht oder deine Mama das Portmonaie. Wenn deine Oma den Stift zum Rätselraten nicht mehr finden kann und du selber...? Ja, wenn du deine Uhr nicht finden kannst oder Spielsachen spurlos verschwunden zu sein scheinen, wenn die Lieblingsbuntstifte mal wieder unauffindbar sind und... vor allem, wenn nach dem Waschen mal wieder eine Socke fehlt. Genau! Man fragt sich dann immer, wie solche Sachen plötzlich wie vom Erdboden verschluckt sein können. Und du hast nun die einmalige Gelegenheit zu entdecken, was all die Dinge machen, wenn sie unauffindbar sind. Du hast schon richtig gelesen. Ich weiß nämlich von einem geheimen Ort, Davifervu genannt. Sagt dir nichts!? Es gibt auch sonst keinen, der diesen Ort kennt, außer dir und mir. Davifervu ist eine Welt, in die sich Dinge aus unserer Welt zurückziehen. Oft kommen sie wieder zurück, denn meistens finden wir unsere Sachen auf unerklärliche Weise dann doch wieder. Aber viele Dinge bleiben auch in Davifervu. Und nun möchte ich dich mit hinein nehmen in diese merkwürdige Welt. Du fragst dich wie sie aussieht? Nun, schließe die Augen und stell dir vor... Du stehst auf einer Wiese, zu deinen Füßen ein weißes, stoppelig hartes Gras. Es wird von den Einheimischen Fusch genannt. Du schaust genauer hin und nimmst ein Grashalm in die Hand. Erstaunt stellst du fest, daß es sich wie Taschentuchfuseln anfühlt. Hier und da siehst du gelb-, silbern- und kupferfarbene Tupfen. Du beschließt diese genauer anzuschauen.

"Nanu!?" denkst du.

Denn es handelt sich um Geld, das als Blumen auf dem Fusch wächst. Die Bewohner nennen sie Monea. Du stellst fest, daß das Geld an den Rändern merkwürdig braun oder auch grünlich aussieht. Links von dir liegt ein breites Flußbett, aber es fließt kein Wasser darin.

"Vielleicht fehlt dem Geld Wasser." überlegst du.

Du gehst zum Flußufer, denn am Ufer hast du etwas entdeckt, das dir bekannt vorkommt. Tatsächlich! Am Ufer steht ein breiter Streifen Brillen. Heile Brillen, halbe Brillen, Brillen ohne Bügel oder mit nur einem, verbogene Brillen oder nur Brillengläser. Aber die Brillen sehen merkwürdig aus. Die Gläser sind ganz matt, als ob sie über Sand geschliffen wurden und völlig zerkratzt sind. Später werden dir die Brillen als Büsche mit Namen Brilverz vorgestellt. Du wendest dich von dem trockenen Fluß nach rechts und gehst über die stoppelig kratzige Wiese. Schon bald siehst du einen Wald in der Ferne. Du reibst deine Augen und schaust angestrengt in die Richtung, aber es scheint sich bei den Bäumen tatsächlich um Haarklammern verschiedenster Art zu handeln. Du beschließt dir das genauer anzuschauen. Als du beim Wald bist, stellst du fest, daß es den Haarklammern, die Kladreiz heißen, nicht gut zu gehen scheint. Sie sehen verrostet aus, die Farben blättern ab, Zacken sind abgebrochen und liegen überall herum. Einige Klammen sind umgefallen und liegen mit den bloßen Wurzeln da. Plötzlich... Ein Knack! Erschrocken siehst du dich um. Du kommst dir mit einem Mal beobachtet vor. Ein kalter Windhauch zaust deine Haare. Du fröstelst und schaust argwöhnisch zu den Klammern hin. Dein Herz bleibt fast stehen.

"War das nicht gerade...?" fragst du dich.

Schnell verwirfst du den Gedanken wieder. Wie sollte denn deine Socke hier her kommen. Und nun, da du deinen ersten Sockitotten gesehen hast, wird es Zeit dir Milo vorzustellen.


Milo ist ein kleiner sechs Jahre alter Sockitotte. Die Frage, wie denn ein Sockitotte aussieht, steht dir ins Gesicht geschrieben. Stell dir einfach eine deiner Socken vor, wie sie vor dir steht und zwar mit dem Teil, in dem das Fußgelenk steckt nach unten. Daran befinden sich auch die Arme. An der Öffnung, in die der Fuß kommt befinden sich rund herum verteilt zehn kleine Füßchen. Der Fußteil bildet die dicke Nase. Sockitotten haben kleine Ohren, meist wuschelige Haare und keinen Mund. Ihre Sprache besteht aus nasalen Lauten, die du auch machen kannst, wenn du versuchst zu sprechen ohne den Mund aufzumachen. Sockitotten gibt es in allen Varianten und allen Farben. Mit Löchern und ohne, gestopfte, matschig-dreckige, ausgeleiherte und welche mit Bildern drauf. Milo nun ist ein kleiner gelber Sockitotte. Er hat einen braungelben Haarwuschel auf dem Kopf und einen Blick, wie ein kleiner Dackel. Er war es auch, den du bei dem Wald aus Haarklammern gesehen hast. Als er merkte, daß du ihn entdeckt hast ist er schnell wieder zu seinem Dorf zurück gehuscht. Sockitotten sollten sich in diesen Zeiten nicht allein außerhalb ihrer Dörfer herum treiben. Und Milo dachte, daß du eines der unheimlichen Dinge wärst, von denen seine Eltern ihm und seinen Geschwistern immer erzählen. Kale und Ged, so heißen Milos Eltern, wohnen mit etwa fünfzig anderen Sockitotten in einem Dorf in einem der vielen Kladreizwälder. Ihre Häuser bauen sie sich aus diesem Material. Mal sind es lange, niedrige Bauten oder mal hohe dreieckige. Kale und Ged haben sich eine dunkelbraune, lange Hütte gebaut und haben dort ihre drei Kinder groß gezogen. Hera ist die älteste. Sie ist schon fast erwachsen und paßt gut auf ihre jüngeren Brüder Milo und Temeo auf. Milo geht Hera schrecklich auf die Nerven, denn er will immer so viel wissen, stellt zu viele Fragen, die man kaum beantworten kann und murrt immer rum, wenn er irgendwo helfen soll. Denn wenn er mithelfen muß kann er keine Geschichten mehr lesen und dem alten Erzähler Olm nicht mehr zuhören. Für Milo ist das kaum hinnehmbar. Denn Wissen ist alles, was ihn interessiert. Milo kann gar nicht verstehen, wieso alle anderen kein Interesse daran zu haben scheinen Wissen zu erlangen. Einzig seine vier Freunde kann er noch für Olm und seine Geschichten begeistern. Frak, Ridogon, Saria und Vini sind so alt wie Milo und alle fünf spielen viel zusammen, am liebsten Geschichten, die sie sich nach den Vorbildern aus Olms Erzählungen ausdenken. So, und nun kennst alles, was wichtig ist um unsere Geschichte zu beginnen, die in Davifervu geschah, an dem Tag, als deine Socke in der Waschmaschine verschwand.