Ich habe die Geschichte so wiedergegeben, wie sie in Aurions Dorfgemeinschaften und Städten erzählt wird. In einer Bibliothek habe ich die Geschichte auch einmal auf einer Rolle gelesen, aber da wirkte sie bei weitem nicht so spannend, als wenn sie von einer alten Tarmenin an einem Lagerfeuer in der Nähe der Sümpfe erzählt wird.

Zu meiner Geschichte, stellt euch die Sümpfe vor, wie sie waren als die Kriege der Ehlovahr Tarmanel überzogen. Es war eine klare Nacht, nur ein paar Wolkenfetzen zogen über den dunklen Himmel. Der Wind strich sanft über das Sumpfgras. Es raschelte leis. Die Hügel waren gespenstische Gräberkuppen, fahl von den Monden beschienen. Man mochte meinen, daß in ihnen Geister hausen, aber nur in einer solchen Nacht. Die Wege waren wie Bänder, vom Mondenlicht erhellt. Stellt euch vor auf einem solchen Band saht ihr eine Gestalt. Ein einsamer Wanderer schlich dahin. Er schleppte sich immer weiter, sein Schritt müde und schwer. Er taumelte mal hier mal dort hin und sein Weg führte ihn zu einer Herberge. Niemand wußte ob er ein Soldat war, doch er trug eine Rüstung, die kaputt und zerschlissen war. Sein zerrissener Umhang wehte in Fetzen von seinem Rücken. Er selber wirkte wie ein Geist aus den Hügeln. Der Wanderer kam an die Herberge. Er lehnte sich an die Wand und atmete schwer. Schließlich klopfte er. Eins, zwei, drei... dann wartete er. Quietschend öffnete sich die Tür und ein Lichtschein fiel auf des Wanderers Gesicht. Ausgemergelt, zerkratzt und müde war es. Der Wirt der Herberge schaute ungehalten zu seinem späten Gast und in seinen Augen blitzte für Momente Zorn auf. Doch seine Stimme verriet nichts als er sprach.

"Hiab?" fragte er ungläubig. "Du hier?" Der Wirt schob Hiab in das Haus. Hiab war freudig überrascht.

"Hoezin!" Eine kurze Pause entstand, in der Hiab erstmal Worte finden mußte; und Hoezin erleichtert anschaute. "Hier bist du hin gekommen. Ich konnte deinen Weg nicht mehr finden. Seit damals habe ich dich gesucht."

Ihr müßt wissen, daß, Hiab und Hoezin einmal befreundet waren. Doch Hiab hatte seinem Freund seinen Lebenstraum zerstört und sie verloren sich aus den Augen. Beide wollten Soldaten des Mantuz werden, Hoezin aber noch mehr als es bei Hiab der Fall war. Hoezin war stolz und angeberisch und er ertrug es nicht, daß Hiab vieles besser konnte als er selbst. Eines Tages dann provozierte Hoezin einen Kampf und in diesem verwundete Hiab seinen Freund so stark, daß dieser untauglich für den Dienst eines Soldaten wurde. Als nun Hoezins sehnlichster Traum ein so jähes Ende fand verließ er seine Heimatstadt und kehrte Hiab voller Wut den Rücken. Und von da an hatte Hiab seinen besten Freund aus den Augen verloren. Aber wo war ich stehen geblieben... ach ja...

"Du siehst gar nicht gut aus." stellte Hoezin fest und drückte seinen Gast auf einen Stuhl. Hiab ließ sich seufzend nieder. Es tat ihm alles weh und er war so unsagbar müde.

"Ich habe einen langen Weg hinter mir und bin in Eile. Ich überbringe dem Mantuz eine wichtige Nachricht und wegen dieser wird mir oft nachgestellt. Kämpfen mußte ich oft, doch zu Guter letzt konnte ich meine Verfolger abschütteln. Ich sah das Licht deiner Herberge schon von weitem. Ich muß mich ausruhen sonst falle ich bald um. Sag... Freund... hast du Trinken und ein Bett für mich?" Hoezin zeigte nicht wie sehr er Hiab verabscheute. >Freund!< so dachte er bei sich. >Ich werde dir zeigen wie gastfreundlich ich sein kann.<

"Gewiß. Komm hier hast du kühles, gutes Wasser und auch Essen gebe ich dir. Stärke dich und ich werde dir ein Lager herrichten. Muß nur sehen, wo ich noch einen Platz finde, die Zimmer sind alle belegt..." murmelnd stellte Hoezin Hiab einen Becher und eine Schüssel hin und verließ den Raum. Kurze Zeit später rief er zur Tür herein, er habe für ihn ein Lager in der Küche neben dem warmen Ofen bereitet. Er müsse noch einiges reinigen und wünsche ihm eine erholsame Nacht. Hiab aß sorglos, denn wie sollte er auch ahnen, daß Hoezin nicht zum Putzen hinaus ging, sondern sich ein Perdan nahm und so schnell dieses konnte zur nächsten Stadt ritt, die nur vier Stunden entfernt von der Herberge lag. Dort fand er alsbald Späher der feindlichen Truppen und er hieß sie ihrem Befehlshaber ausrichten, daß der Bote des Mantuz Hiab bei ihm in der Herberge ausruhte. Man könne ihn dort ergreifen. Die Späher machten sich sogleich auf den Weg und auch Hoezin ritt schnell wieder zurück.

So hatte Hoezin aus Rache und verletztem Stolz seinen Freund verraten. Wenn er doch nur hätte ahnen können, was er schreckliches getan hatte.

Hiab hatte sich hingelegt und der Schlaf übermannte ihn augenblicklich. Alles in ihm war so schwer und müde und so nahm er das warnende Gefühl nicht wahr. Die leise Stimme, die ihn warnen wollte, der Knoten im Magen, der ihn beunruhigen sollte.

Plötzlich...

...rissen starke Arme Hiab hoch und ihn aus seinem tiefen, festen Schlaf. Hiab war benommen, wußte zunächst nicht wo er war, was passiert war. An den Auftrag mußte er sich erst wieder erinnern, dann erkannte er die feindlichen Soldaten, doch diese hatten ihn schon zu Boden gedrückt und banden ihn fest mit Stricken. Hiab wandt sich, versuchte zu kämpfen, doch es half nichts, der Feind hatte ihn gefangen gesetzt. In seinen angsterfüllten Gedanken versuchte er zu ergründen, wie dies geschehen konnte. Brutal schleiften ihn die Soldaten nach draußen. Mit Waffen wurde er bedroht und so wehrte sich Hiab nicht. Er hegte noch die Hoffnung, daß er sich befreien konnte, denn seine Nachricht war so wichtig für den Mantuz. Er mußte sie überbringen.

Wie es jetzt weiter ging, fragt ihr euch bestimmt. Nun ja, die feindlichen Soldaten versuchten an Hiabs Nachricht zu kommen und wollten sie ihm mit Gewalt entlocken. Und Hoezin!?

Hoezin stand an einem Fenster spähte vorsichtig hinaus. Er sah, wie sie Hiab schlugen, wie sie ihn an den Zaun fesselten, an dem sonst Perdans angebunden waren. Und zunächst fühlte es sich gut an für ihn. Doch als die Zeit verging und Hiab begann unter den Schmerzen zu schreien überkam Hoezin ein großes Gefühl der Reue. Und je länger alles dauerte desto schmerzhafter wurde dieses Gefühl in seiner Brust. Nun wünschte er sich, er hätte nicht auf seine Rachegelüste gehört. Doch sein Mut war klein und er griff nicht ein. Er befreite Hiab nicht. In den ersten Stunden seines Verhörs konnte Hiab noch überlegen und schnell kam er zu dem Schluß, daß es nur eine Erklärung für seine Gefangennahme geben konnte. Hoezin hatte ihn verraten und diese Erkenntnis schmerzte ihn mehr als das, was die Soldaten mit ihm taten. Sein Freund... er hatte dafür gesorgt, daß ihm nun dies hier wieder fahren konnte. Wie sehr mußte Hoezin ihn doch gehaßt haben!? Drei Tage vergingen. Drei Tage in denen Hiabs Schmerzen immer größer wurden und am dritten Tag spürte Hiab, daß er nicht mehr länger konnte. Er fühlte, wie sein Leben ihn verlassen wollte. >Nein! Mein Auftrag! Ich muß die Nachricht überbringen. Ich muß! Ich muß! Ich muß!< Hiab konnte nicht loslassen und das hatte ungeahnte Folgen.

"HOEZIIIIIIN!!!" schrie Hiab ein letztes Mal. Dann starb sein Körper, doch seine Seele blieb als Geist, denn Hiabs Wille, den Auftrag zu erfüllen, band sie an diesen Ort. Hoezin durchfuhr es bei diesem Schrei. Eine Angst jagte ihm durch Mark und Bein. Fröstelnd verließ er das Fenster und floh voller Schrecken in die Küche. Die Soldaten suchten Hoezin wütend auf und drohten ihm, nicht die Streitkräfte des Mantuz aufzusuchen. Es würde ihm ergehen wie dem Boten. Sie zogen ab und ließen Hoezin zurück, das Häufchen Elend, das schlechte Gewissen in Person. Wochen vergingen und langsam erholte Hoezin sich von seinem Schrecken, konnte er wieder zum normalen Betrieb der Herberge zurückkehren.

Nun denkt ihr, daß das ein lausiges Ende für diese Geschichte ist!? Ihr habt Recht. Sie ist noch nicht zu ende. Denkt euch nur. Eines Nachts klopfte es an die Tür zu Hoezins Herberge. Poch. Poch. Poch.

„Wer kann das nur wieder sein! Warum bringen die mich immer um meinen Schlaf!?“ schimpfte Hoezin und stieg aus seinem Bett. Er ging zur Eingangstür und öffnete sie, doch davor stand niemand. Hoezin bemerkte nur einen kühlen Lufthauch. Er schaute noch einmal zur einen Seite und zur anderen Seite. Nichts. Achselzuckend schloß er die Tür und als er sich umdrehte...

...schauten ihn Hiabs Geisteraugen an. Mit einem Schrei sprang Hoezin zurück und drückte sich an die Tür. In seiner Panik suchte er den Türknauf, doch er fand ihn nicht.

"Hoezin!" hallte Hiabs Stimme. Sie klang wie ein Reibeisen, ein heiseres, schreckliches Flüstern, das einem das Blut in den Adern gefrieren ließ.

"Du bist TOT!" kreischte Hoezin mit schriller Stimme.

"Aber ich bin nicht weg. Ich bin noch hier. Doch DU...!" Hiab hob seine schemenhafte, durchscheinende Hand und zeigte mit einem knochigen Finger auf Hoezin.

"Bitte! Hiab. Es tut mir so schrecklich Leid. Was ich dir angetan habe ist unverzeihlich. Ich bereue meinen Haß auf dich zutiefst."

"Warum hast du mich dann nicht befreit!?" Hiab brauchte Hoezins Antwort nicht, er wußte es. Seine Geisteraugen begannen kalt wie Eis bläulich zu glühen. Hoezin wimmerte. Er konnte Hiab nicht sagen, daß er den Mut nicht aufbringen konnte um ihm zu helfen.

"Du bist ein feiger Wurm, Hoezin. Der Preis für deinen Verrat ist der Tod!"

Ja, und so nahm Hiab Hoezin das Leben und er setzte die Herberge in Brand. Als verkohlte Ruine steht sie noch heute dort, auf einem Hügel, wo die Sümpfe beginnen. Führt dein Weg dich einmal in die nahen Dörfer, so erzählen dir die Einwohner eine Geschichte.

In einer klaren Nacht, so sagen sie, wenn nur ein paar Wolkenfetzen über den dunklen Himmel ziehen und der Wind sanft über das Sumpfgras streicht, so daß es leise raschelt. Wenn die Hügel gespenstische Gräberkuppen sind, fahl von den Monden beschienen und man meinen möchte, daß in ihnen Geister hausen. Wenn die Wege wie Bänder sind, vom Mondenlicht erhellt. Dann, so sagen sie, steht auf einem solchen Band eine Gestalt. Ein einsamer Wanderer, die Rüstung kaputt und zerschlissen, der wehende Umhang in Fetzen. Ein Geist aus den Hügeln. Sein Weg führt ihn zur Herberge. Er klopft. Eins, zwei, drei... So erzählen es die Leute.